Gehörlose und Fremdsprachige
In sechs Veranstaltungen wollen die Stiftung „Kunst der Freiheit“, das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart und der Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren jeweils eine Minderheit vorstellen, die in der Region lebt – und zwar auf dem Drewenzsee in Osterode an Bord eines Schiffes der Osterode-Elbinger Schifffahrtsgesellschaft. „Kulturschiff. Oberland – Land der Philosophen, Land der Inklusion“ heißt das Projekt, das am 25. Mai begonnen hat.

Foto: Uwe Hahnkamp
Hinter der Idee stehen Olga Żmijewska von „Kunst der Freiheit“ (selbst Mitglied der deutschen Minderheit in Osterode) und Chantal Stannik, die Kulturmanagerin des ifa in der Woiwodschaft Ermland-Masuren, die einigen Minderheitengruppen in der Region die Möglichkeit geben wollten, sich einem größeren Publikum vorzustellen. Bis Ende August sind Begegnungen mit der deutschen Minderheit, den Roma, Mitgliedern der LGBTQI+, Ukrainern und Juden geplant.

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Unhörbare, lebhafte Gespräche
Den Anfang machten in der Frische eines sonnigen Sonntagmorgens am 25. Mai Menschen mit Beeinträchtigung, überwiegend gehörlose Menschen. Trotz der großen Anzahl an Personen und einer sichtbar lebhaften Kommunikation war es an der Anlegestelle der Schiffe für Seerundfahrten in Osterode seltsam still. Die hörenden Teilnehmenden fühlten sich wie bei einem Aufenthalt in einem Land, dessen Sprache sie nicht verstehen. Aus diesem Gefühl der Unsicherheit heraus entsteht vermutlich ein Teil des Misstrauens gegenüber Gehörlosen. Für den Ausflug hatten die Organisatorinnen Dolmetscherinnen von der polnischen Gebärdensprache PJM ins gesprochene Wort engagiert, die eine Kommunikation ermöglichten.

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Während das Schiff langsam auf den See hinausglitt, erklärte Olga Żmijewska die Bedeutung des Oberlands als eigenständige Region und als Ort kultureller Vielfalt, woraus sich für seine Einwohner auch eine besondere Verantwortung für Minderheiten ergibt. Die Zuschauer hingen wie gebannt an den – Händen der Dolmetscherinnen, um auch ja kein Wort zu verpassen. Niemand verließ seinen Platz, nur ein junger Teilnehmer stand neben seinem Vater auf dem Sitz, um gute Sicht zu haben.

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Stehen Sie nicht im Blickfeld!
Diese in einem hörenden Umfeld ungewöhnliche Bitte wurde auf dem Kulturschiff nach einer Pause für Kaffee und Kuchen noch wichtiger, denn es trat das Allensteiner Gehörlosentheater auf. „Die Erzähltechnik für unsere Darstellung heißt Visual Vernacular“, erklärte Małgorzata Mickiewicz vom Theater, „und wurde vom US-Amerikaner Bernard Bragg entwickelt, der ein Schüler des bekannten Pantomimen Marcel Marceau war.“ In vielen kleinen ernsten und heiteren Stücken mit Elementen der Pantomime stellten die Schauspielerinnen Szenen des Alltags vor, von Hunden und Katzen, gestressten Motorradfahrern und ruhigen Bäumen.
Das Kulturschiff macht Vielfalt sichtbar – und zeigt, wie lautlos gelebte Inklusion begeistern kann.
Die Leiterin des Theaters, Natalia Świniarska, kann hören und übersetzt Gebärdensprache. „In meinem Studium der Pädagogik wurde ein Kurs in PJM angeboten, später wurde ich Schülerin bei Małgorzata“, beschreibt sie den Einstieg in ihre jetzige Tätigkeit. Sie präsentierte einen ausdrucksstarken Tanz zu Musik. Die dritte im Bunde war Aleksandra Lipska, die unter anderem ein komplettes Gedicht in Pantomime und Gebärdensprache auf die Bühne zauberte. Sie ist sehr lebhaft und gestikuliert daher gerne schnell und raumgreifend. „Im Tempo gibt es Unterschiede je nach Person“, meinte sie, „aber es lässt sich gut erkennen, ob ein Gespräch ruhig, liebevoll oder ein Streit ist. Es geht bei der Gebärdensprache nicht nur um die Hände, sondern auch um die Mimik.“ Das hilft sehr beim Telefonieren mit dem Handy, das Gehörlosen ihrer Meinung nach das Leben sehr erleichtert.

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Mensch mit Einschränkung oder fremdsprachig
In der abschließenden Diskussion ging es vor allem um die Wahrnehmung von außen und die Selbstwahrnehmung nicht nur gehörloser Personen. Urszula Dudko sitzt im Rollstuhl, bei ihr „ist klar zu sehen, was ich nicht kann“, wie sie selbstironisch anmerkte. Sie ist als Malerin schon Jahrzehnte anerkannt und engagiert sich im Ermländisch-Masurischen Landtag der Behinderten. Monika Falaj hingegen sieht man auf den ersten Blick nicht an, was ihr im Alltag Schwierigkeiten macht. Sie kandidierte für das Amt der Präsidentin von Allenstein/Olsztyn und ist bei einigen Nichtregierungsorganisationen aktiv.

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Beide erfolgreiche Frauen finden die Haltung anderer Menschen ihnen gegenüber oft nicht hilfreich. Deutlicher formulierte es Kamila Szmitko von der Allensteiner Gesellschaft der Gehörlosen: „Wir fühlen uns nicht als Behinderte oder als Menschen mit Einschränkung. Wir können alles machen. Wir reden einfach in einer anderen Sprache, und wenn Hörende die Gebärdensprache könnten, könnten wir sehr gut zusammenarbeiten.“ Dieser entschieden gestikulierte Appell traf auf tosenden und dennoch nicht hörbaren Beifall. Bei der entsprechenden Geste in der Gebärdensprache werden bei erhobenen Armen die Hände schnell im Handgelenk gedreht. Eins der vielen Dinge, die hörende Menschen lernen sollten.