Nach fast zwei Jahren Krieg im Gazastreifen steht Israels Führung vor einer brisanten Entscheidung. Das Sicherheitskabinett soll heute Abend über die vollständige Eroberung des abgeriegelten Palästinensergebiets beraten.
Ein entsprechender Plan sieht laut israelischen Medienberichten zunächst die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des Küstengebiets vor. Noch vor den Beratungen forderte die Armee Einwohner im Süden der Stadt Gaza auf, sich sofort Richtung Süden in die humanitäre Zone in Al-Mawasi zu begeben.
Opposition warnt vor Ausweitung
In der Stadt Gaza sollen sich schätzungsweise etwa eine Million Menschen aufhalten - ungefähr die Hälfte der Bevölkerung des Küstengebiets. Für eine Einnahme des gesamten Gazastreifens müsste das Militär außerdem in die Flüchtlingsviertel im zentralen Abschnitt vordringen.
Oppositionsführer Jair Lapid bezeichnete eine komplette Eroberung des Küstengebiets als «sehr schlechte Idee». Israel werde für die Ausweitung der Kämpfe einen hohen Preis bezahlen, sowohl bei der Zahl der Opfer als auch auf die Kosten einer Besatzung.
Armeechef warnt vor Falle
Armeechef Ejal Zamir warnte laut Rundfunkberichten in einer Vorbesprechung mit Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einer «Falle» sowie einer tödlichen Gefahr für die Geiseln und Soldaten. Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 20 lebende Geiseln in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas.
Israels Armee kontrolliert bereits rund 75 Prozent der Fläche des durch den Krieg weitgehend verwüsteten Küstengebiets. Militärisch gesehen wäre es für die Streitkräfte nicht schwierig, auch den Rest des Gazastreifens zu erobern, sagten israelische Sicherheitsanalysten der US-Zeitung «Wall Street Journal».
Besetzung birgt hohe Risiken
Die eigentliche Herausforderung würde nach einer vollständigen Besetzung beginnen. Israel wäre fortan für das Leben der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens verantwortlich, einschließlich ihrer Versorgung mit Lebensmitteln, medizinischen Dienstleistungen, Bildung und sanitären Einrichtungen.
Zudem müsste Israel eine beträchtliche Militärpräsenz innerhalb des Gazastreifens aufrechterhalten, um die Sicherheit inmitten einer weitgehend feindlich gesinnten Bevölkerung zu gewährleisten. Abgesehen von den enormen Kosten sei unklar, ob eine militärische Besetzung die Hamas komplett zerschlagen oder sie möglicherweise sogar stärken würde, zitierten Medien Sicherheitsanalysten.
Parallelen zum Vietnam-Krieg befürchtet
Die Kämpfer der Hamas, die den Krieg in Zivilkleidung und aus bewohnten Gebieten heraus führten, könnten nicht nur weiteren Zulauf erfahren. Eine dauerhafte Stationierung israelischer Truppen würde auch die Möglichkeiten der Hamas verbessern, diese mit Guerillataktiken anzugreifen.
Ein Sicherheitsbeamter zog laut israelischen Medien bereits eine Parallele zum Vietnam-Krieg: «Wir steuern sehenden Auges auf ein Vietnam-Modell zu.» Was das Sicherheitskabinett, das um 18 Uhr Ortszeit (17 Uhr MESZ) im Büro von Ministerpräsident Netanjahu zusammentritt, entscheiden wird, bleibt abzuwarten.
Netanjahu will Hamas unter Druck setzen
Es könnte Netanjahu laut den Berichten auch darum gehen, die Hamas unter Druck zu setzen, der Freilassung der Geiseln im Rahmen einer Waffenruhe zuzustimmen. Medienberichten zufolge soll der Regierungschef dennoch zu dem Schritt einer vollständigen Eroberung neigen.
Unterdessen griff die israelische Armee nach eigenen Angaben erneut Ziele der Hisbollah-Miliz im nördlichen Nachbarland Libanon an. Dazu gehörten verschiedene Stellungen der vom Iran unterstützten Miliz, unter anderem Waffenlager und Raketenabschussrampen sowie Einrichtungen zur Lagerung technischer Ausrüstung.
Waffenruhe mit Hisbollah unter Druck
Eigentlich gilt seit Ende November vergangenen Jahres eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon. Israel fordert eine vollständige Entwaffnung der Miliz und greift daher nahezu täglich Stellungen der Schiitenorganisation in verschiedenen Gegenden des Nachbarlandes an.
Die libanesische Armee wurde in dieser Woche damit beauftragt, einen Plan zur Entwaffnung der Hisbollah auszuarbeiten. Bis zum Jahresende sollen alle Waffen im Land unter staatliche Kontrolle gestellt werden.
Hisbollah lehnt Entwaffnung ab
Die Hisbollah hat wiederholt betont, dass sie sich nicht darauf einlassen wolle. Israels Militär müsse zunächst seine Angriffe einstellen und seine Truppen von den fünf verbleibenden Posten im Südlibanon abziehen.
Befürchtet wird, dass die Miliz ihre Waffen nicht zeitnah ablegen wird und die Debatte stattdessen in einer innenpolitischen Krise münden könnte. Die Hisbollah ist trotz der Schwächung durch den Krieg mit Israel weiter eine starke politische Kraft im Libanon und hat nach wie vor viele Kämpfer unter Waffen.
(dpa/Berlin) Hinweis: Dieser Artikel wurde mithilfe von Künstlicher Intelligenz überarbeitet.