Wie bereits der Titel seines Buchs verrät, ist es eine lange Zeit, auf die Wiktor Marek Leyk, der inzwischen ehemalige Beauftragte für Fragen ethnischer und nationaler Minderheiten des Marschalls der Woiwodschaft Ermland-Masuren, zurückblickt. „30 Jahre mit Minderheiten“ hat er beruflich hinter sich. Zu dieser Zeit und zum Buch äußerte er sich in einem Autorengespräch mit Professor Jacek Poniedziałek von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn. Dieses fand am 20. November im Konferenzraum der Woiwodschaftsbibliothek in Allenstein statt.
Der Saal in der Zentrale der Bibliothek in der ulica 1 Maja 5 war bis an den Rand gefüllt, das lokale Fernsehen und Radio hatte seine Mitarbeiter geschickt, um Wiktor Marek Leyk in seinen verdienten Ruhestand zu schicken. Die Woiwodschaft Ermland-Masuren ist bis heute die einzige in Polen, in der sowohl im Marschall- als auch im Woiwodschaftsamt eine Person beschäftigt ist, die für die Minderheiten zuständig ist und dazu noch beim Sejmik extra eine Kommission für diese Fragen existiert.
Zeit, Gelegenheit, spezifische Region…
Bei Kriminalfilmen sprechen die Kommissare häufig von den drei Faktoren, die jemanden verdächtig machen, nämlich die Gelegenheit, das Mittel und das Motiv. Ein ähnliches magisches Dreieck, eigentlich sogar Viereck, hat Professor Jacek Poniedziałek, der selber aus Allenstein kommt, als Grund für die Erschaffung und den langjährigen Erfolg des Postens eines Minderheitenbeauftragten ausgemacht, und es sich gemeinsam mit Wiktor Marek Leyk im Gespräch vorgenommen.
Zeit: es ist kurz nach dem Jahr 1990, nach den ersten freien Wahlen in Polen, den friedlichen Begegnungen mit den westlichen Nachbarn und dem deutsch-polnischen Nachbarschafts-Vertrag, die polnische Währung durchlebt Turbulenzen und im ganzen Land erwachen ethnische und nationale Minderheiten und besinnen sich auf ihre kulturellen Traditionen. Es ist eine Zeit des Um- und Aufbruchs, verschiedene Wurzeln sind nach der Zeit des politisch gewollten national monolithischen Polens nicht mehr verpönt.
30 Jahre Engagement für Vielfalt: Wiktor Marek Leyk hinterlässt als Minderheitenbeauftragter von Ermland-Masuren ein bleibendes Vermächtnis des Miteinanders.
Gelegenheit: sie ist mit der Zeit verflochten, denn es ist auch die Zeit des Aufbruchs in Richtung Europäische Union, der Prozess, der mit dem Beitritt Polens zur EU im Mai 2004, vor zwanzig Jahren, endete, kam gerade ins Rollen. Günter Verheugen führte damals die Verhandlungen und ein wichtiger Punkt dabei waren regelmäßig die Rechte der ethnischen und nationalen Minderheiten im alltäglichen Leben, in den Medien, in der Pflege ihrer Sprache, Bräuche und Traditionen. Daher auch der Ruf nach Menschen, die sich extra darum kümmern sollen.
…die Menschen…
Spezifische Region: aufgegriffen wurde das in besonderem Maße von der Region Polens mit dem höchsten Anteil von Minderheiten an der Bevölkerung, nämlich der Woiwodschaft Ermland-Masuren, die seit langer Zeit diese kulturelle Vielfalt bewusst als Reichtum, als positiv wahrnimmt und das immer wieder betont. Deutsche, die geblieben waren, Ukrainer, die hierher vertrieben wurden, Polen, die aus Weißrussland, der Ukraine und Litauen umgesiedelt wurden, Weißrussen, Litauer, Russen, Roma, es ist ein buntes Gemisch an Nationen, das dort lebt. Und sie wollten – auch das war ein Zeichen der Zeit – gehört werden.
Die Menschen: beginnen wir mit Janusz Lorenz, dem damaligen Woiwoden von Allenstein, an den die Bitten nach einem Vertreter herangetragen wurden. Bedrängt von ukrainischer und deutscher Seite, den zahlenstärksten Minderheiten, entschied er sich salomonisch dazu, weder einen Vertreter der einen noch einen der anderen Gruppierung zu ernennen, sondern trat mit der Bitte um Übernahme dieses Postens an einen Menschen mit „doppelter Minderheit“ heran, den Masuren und Protestanten Wiktor Marek Leyk. So begann die lange Zeit, deren viele Facetten Leyk in seinem Buch beschreibt: das Abtasten und beginnende Vertrauen, infrastrukturelle Schwierigkeiten der Minderheiten, Zusammenarbeit, Konkurrenz und Freundschaften. Und immer wieder tauchen im Buch sowie im Gespräch und in der anschließenden Podiumsdiskussion im November die Namen von Weggefährten auf, die sich jede und jeder auf seine Weise für Minderheiten stark gemacht haben – und von denen viele an jenem Abend gekommen waren.
…und noch mehr Menschen
Nicht mehr dabei sein konnte der unlängst verstorbene Miron Sycz, der als Vertreter der ukrainischen Minderheit, Schuldirektor, Abgeordneter und Senator stets viel bewegt hat, dem Wiktor Marek Leyk ein Kapitel seines Buchs gewidmet hat. Doch der heutige Vorsitzende der erwähnten Minderheitenkommission Jarosław Słoma, die ehemalige Minderheitenbeauftragte beim Woiwoden Joanna Wańkowska-Sobieszak, Professor Andrzej Sakson, der mit Masuren verbunden ist wie die Schauspielerin Irena Telesz-Burczyk mit der Minderheit der Roma, und Mitglieder der Kulturgemeinschaft „Borussia“ in Allenstein waren ebenso gekommen wie die jetzigen Vertreter der Minderheiten.
Auf dem Podium waren für die ukrainische und deutsche Minderheit die langjährig Aktiven und Vorsitzenden Stefan Migus und Henryk Hoch sowie Piotr Bilicki als Nachfolger seines Vaters bei den Roma mit dabei und berichteten von ihren Erfahrungen, Schwierigkeiten und Zukunftsplänen. Sie betonten alle, dass das anfängliche Misstrauen relativ schnell einem Gefühl der Anerkennung als vollwertige Partner der Verwaltungen gewichen sei – und das ist mit Sicherheit ein Verdienst gerade von Wiktor Marek Leyk als Person und Persönlichkeit. Es ist kein Zufall, dass er bei allen Minderheiten der Region dafür bekannt ist, bei möglichst vielen Veranstaltungen dabei zu sein.
Neben allen Zeichen für eine durchaus erfolgreiche Arbeit machte Wiktor Marek Leyk scherzhaft auf eine über die Region hinausreichende Anerkennung aufmerksam: „Es ist bezeichnend, dass das griechisch-katholische Bistum in Nordpolen ‚Olsztyn-Gdańsk‘ heißt und nicht umgekehrt.“ Aus Allenstein kam denn auch die musikalische Umrahmung des Abends. Zu Beginn von der Minderheit der Roma mit Piotr Bilicki und seinem Sohn und zum Ende mit der Stimme und der Gitarrenmusik von Stefan Brzozowski von der bekannten Gruppe „Czerwony Tulipan“.