Erntedank 05.10.2025
Lesungen: 2. Korinther 9,6–15; Markus 8,1–9
Predigttext: Jesaja 58,7–12
„Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, Obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen? Dann wird dein Licht hervorbrechen wie das Morgenrot, und deine Heilung wird schnell gedeihen. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des HERRN folgt dir nach.“
Jesaja 58,7–8
Liebe Leserinnen und Leser,
In der evangelischen Kirche feiern wir Ende September/Anfang Oktober Erntedank. Es ist ein besonderer Sonntag, an dem der Altar mit der Ernte unserer Felder und Gärten geschmückt wird. Kinder ziehen feierlich in die Kirche ein, mit Körben, in denen sich Obst und Gemüse befinden. Das weist symbolisch darauf hin, wofür wir Gott danken wollen. Dann stehen die Körbe auch vor dem Altar.
Erntedank ist ein Fest, an dem wir dem Schöpfer für seine Fürsorge und für unsere Sättigung danken. Wir danken für das Wetter und für die Kraft zur Arbeit. Im Allgemeinen geht es um das Leben selbst und alles, was für das Leben notwendig ist. Das ist die Hauptbedeutung von Erntedank.
Es geht jedoch nicht nur um das Bekommen, Erarbeiten, Konsumieren und Vorsorgen. Der Mensch ist im Erntedank auch zum Teilen aufgerufen – mit denen, die nicht so viel Glück hatten: Hungrigen Brot brechen, Nackte bekleiden, Obdachlosen ein Dach über dem Kopf geben. Also nicht nur für sich selbst und die eigene Familie sorgen, sondern auch Bedürftige im Blick behalten.
So wird Erntedank zu einem Fest des Teilens und der Fürsorge. Wo finden wir heute all diese Bedürftigen? Es geht vielleicht nicht nur um die Obdachlosen, die ihre Obdachlosigkeit zu ihrem Lebensstil gemacht haben, die durch Drogen oder Alkoholsucht auf der Straße gelandet sind und sich Arbeit und sozialer Verantwortung entziehen. Brot, Dach und Kleidung teilen – haben wir das nicht letztes Jahr erlebt, als wir im Süden Polens mit den Folgen der Flut kämpften? Brot, Dach und Kleidung – ist das nicht auch seit Februar 2022 der Fall, als Russland die Ukraine angriff? In beiden Fällen können wir sagen: Wir haben die Prüfung bestanden. Gut für unser Gewissen!
„Wir sind alle auf unserer Lebensreise. Umso wichtiger ist es, einander zu unterstützen und die Gaben Gottes zu teilen.“
Es gibt aber auch andere Herausforderungen – wie die Migrantenkrise im Osten Polens, wo viele sagen: „Ach, die Migranten sollen ihre Probleme im eigenen Land lösen.“ Während des Kommunismus sind meine Großeltern nach Deutschland ausgewandert. Sie waren auch Migranten. Sie hatten keine Möglichkeit, das Problem des Kommunismus in ihrem Land zu lösen. Nicht alles ist Schwarz-Weiß. Dazwischen gibt es viel Grau – auch im Menschen. Das ändert aber nichts daran, dass wir helfen sollen.
Vor einigen Jahren fuhr ich oft mit dem Zug die Strecke Warschau–Zebrzydowice. Der Zug fuhr weiter über Bratislava nach Wien. Einmal saß ich im Abteil mit einem Muslim aus Tschetschenien während des Ramadan. Er wollte unbedingt wissen, ob die Sonne schon untergegangen war. Als ich ihm versichert habe, dass es soweit sei, zog er Datteln aus seiner Tasche und teilte sie mit mir. Seine Religion erlaubte ihm erst nach Sonnenuntergang eine Mahlzeit. Er hatte nicht viel, aber seine religiöse Pflicht war es, auch mit mir – seinem Reisebegleiter – zu teilen.
Ein anderes Mal saß ich im Zug mit einem jungen Australier, der die Bahnhofsdurchsage nicht verstanden hatte und im falschen Zug gelandet war. Mit Geld und Kreditkarte ausgestattet, aber hungrig. Es gab keinen Speisewagen, und der Zug hielt erst wieder in Kattowitz. Er war froh, dass er meinen Apfel und mein belegtes Brot, von meiner Schwiegermutter vorbereitet, bekommen hat – denn er hatte noch eine lange Reise vor sich.
Wir sind alle auf unserer Lebensreise. Umso wichtiger ist es, einander zu unterstützen und die Gaben Gottes zu teilen. Denn im Teilen der Gaben ist auch die Danksagung enthalten.